Nachruf auf Mary Daly
Mary Daly, Doktorin
der Theologie und der Philosophie, durch ihr Buch „Kirche, Frau und
Sexus“ (The Church and the Second Sex 1968) eine
Pionierin des radikalen Feminismus,
ist nach zweijähriger Krankheit mit 81 Jahren gestorben.
Ich bin ihr nur einmal begegnet, als Studentin in den USA. Das muss 1996 gewesen sein. Daly war damals noch Professorin am Boston College und kam zu einem Vortrag in die Harvard School of Theology. Ich studierte dort seit einem Jahr und war überwältigt von der politischen Korrektheit, die dort wie ein Panzer über allem lag. Dalys Vortrag war wie ein frischer Luftzug, ein Moment der Epiphanie, so einfach und gelungen wie sie selber.
Sie war nicht sehr groß und sah aus wie eine freundliche, harmlose Tante, bis sie zu sprechen begann. Ich erinnere mich, dass ich ungläubig ihre metallverzierten Cowboy-Stiefel anstarrte, während ich sie von den schlangenförmigen Schwingungen reden hörte, die das Publikum mit der Rednerin oder die Studierenden mit den Lehrenden verbinden und ganz allgemein alle, die im Gespräch begriffen sind. Ich habe diese Schlangen oft gehört und gesehen. Manchmal erlebe ich sie wie Spinnweben, die mich einspinnen und mich in meinen Bewegungen und meinem Blick einschränken, zu anderen Zeiten sind sie reale Lichtstrahlen, die überall umher tanzen und Höhen und Tiefen aufdecken, wo vorher alles glatt und eben erschien. Mary Daly war eine Philosophin-Poetin. Sie eine Philosophin-Poetin zu nennen, ist redundant – obwohl sie Professorin der Philosophie und nicht der Poesie war, ist es doch nicht möglich, das eine ohne das andere zu sein.
Mary Daly liebte das Wort und
bewunderte die Fähigkeit des Wortes, Welten zu erschaffen, ohne dem
Subjektivismus zu verfallen, ohne je Kontakt mit der materiellen Welt
und ihrer
Beschaffenheit zu verlieren. Ich glaube,
es ist die Rückseite von „Pure Lust“, auf dem Daly zu sehen ist, wie sie
lachend eine schwarze Katze streichelt, mit dem Rücken an einem
Baumstamm
gelehnt und mit einem Finger zur Erde zeigend, wie Aristoteles in
Rafaels
berühmten Bild. Wie sie war ich ebenfalls beeindruckt von dem unerhört
Neuen,
das Aristoteles in der klassischen und Thomas von Aquin in der
mittelalterlichen Welt repräsentierte. Ich glaube, dass diese Innovation
den
Kern des so genannten westlichen Denkens, ja, die Dignität des
Materiellen und des Anti-Spiritualismus
ausmacht. Sie umfasst die Dignität des Leibes und ist spezifisch – wie
Daly uns
gelehrt hat, indem sie ihre Lehrer korrigierte und ihre Position
durchhielt,
ohne auch nur einen Fingerbreit von ihrer Achtung des Leibes von Frauen
abzuweichen,
der grundsätzlichen, fundamentalen Achtung, die das unerledigte Problem
jeder
Generation ist, selbst im 21. Jahrhundert, einer Achtung, ohne die die
Achtung
des Leibes und der Arbeit von Kindern, Untergebenen, ImmigrantInnen und
Armen
nicht möglich ist, Achtung des Leies von Frauen, ohne die soziale
Gerechtigkeit
nicht möglich ist und ohne die das, was in der Eucharistie verkündigt
wird,
eine Lüge wäre: dass Gott einen Leib hat, zu dem wir gehöre, ohne
irgendjemanden auszuschließen oder zu unterwerfen, und dass es durch
diesen
Leib und seine Wunden ist, dass wir unsere Geschichte schreiben.
Teresa Forcades i Vila
Vizepräsidentin der ESWTR
7. Januar 2010